Kaffeehausfragment #2
Heute Morgen in Mitte, kurz nach acht. Ein Café an der Ecke zu einer ruhigen Seitenstraße, zwei Tische sind schon belegt, der übrige Raum liegt leer und einladend vor mir.
Nach meiner Erfahrung mit dem Matcha Latte halte ich mich ans Bewährte. Einen Cortado, bitte, sage ich und bekomme eine Antwort auf Englisch – und wenig später meinen Kaffee. Mit dem Getränk setze ich mich ans Fenster, hole mein Notizbuch heraus und schreibe sofort los, noch im Mantel, denn auch hier ist es kühl.
Ein Mann auf einem Lastenrad (vorn zwei Kinder) biegt um die Ecke.
Die Jugendliche mit den weiten Jeans, die die Stichstraße entlang auf mich zuläuft, hat das Haar streng aus dem Gesicht gekämmt (sleek) und hinten zu einem Zopf gebunden, der enthüllt, dass sie eigentlich Locken hat.
Ein Mann mit ebenfalls lockigem Haar, großen Kopfhörern und Rucksack, alles dunkel, geht an der Fensterfront entlang.
Zwei weitere Männer auf Lastenrädern mit Kindern (LRMK).
Eine Frau in einem rosafarbenen Teddyfleece-Mantel und mit ähnlicher Frisur wie die Jugendliche vor zwei Minuten steht an der Tür des Cafés und schaut hinein. Weil ich dies aufschreibe, bekomme ich nicht mit, ob sie reinkommt oder weitergeht.
Am Tresen jetzt eine Frau in elegantem schwarzen Mantel, die glänzenden glatten Haare locker zum Dutt gebunden, schwarze Ledertasche, schwarze Hose und weiße Adidas-Sneaker mit schwarzen Streifen. Classic Mitte Style.
Die Frau in rosa Teddyfleece ist reingekommen. Sie fragt am Tresen nach etwas Heißem, das kein Kaffee ist. Matcha oder Tee, sagt die Bedienung. Nach zweidrei Minuten nimmt die Frau mit einem Tee am Tisch neben mir Platz, holt ihren Laptop aus dem Rucksack (ebenfalls rosa) und klappt ihn auf.
Beim nächsten Mal nehme ich auch Tee, der hält länger – und länger warm.
Draußen ist viel los:
Vierter Vater mit LRMK kreuzt.
Noch eine Frau in Teddyfleece.
Ein winziger Hund, gefolgt von einer Frau im Jogging Dress, beide treten ein, werden freundlich begrüßt, man kennt sich. Streicheleinheiten für den Hund, ein Shake für die Frau.
Fünfter Mann mit Lastenrad, aber ohne Kinder (LROK).
Vorbei fährt eine ganz in schwarz gekleidete Frau (auch ihr Farrad ist schwarz) mit erbsengrüner Wollmütze und farblich passender Ledertasche.
Sechster Mann mit LROK.
Siebter Mann mit LRMK.
Achter Mann mit LRMK.
Neunter Mann mit LRMK.
Man muss dazu sagen: Ich sitze an der Ecke einer Fahrradstraße.
Die folgenden zehn Radfahrenden, die kreuzen, sind alle eher dunkel gekleidet, nur eine Mutter und ihr Kind auf einem Woom-Fahrrad setzen rosarote Akzente.
Ein Mann und eine Frau treten ein, sie trägt eine medizinische Maske. Die Frau im rosa Teddyfleece neben mir desinfiziert sich die Hände (Übersprungshandlung?).
Es ist halb neun und der Raum hat sich gefüllt.
Draußen eine Radfahrerin mit neongelber Warnweste. Eine andere Frau mit blauem Rucksack auf himmelblauem Fahrrad.
Offenbar muss man nicht am Tresen auf die Getränke warten, man kann sie sich auch an den Tisch bringen lassen so wie der Mann, der jetzt am Nebentisch Platz genommen hat.
Schon mehrere Minuten lang kein Mann mehr mit LR. Dafür jetzt eine Frau.
Eine weitere Frau mit LRMK.
Aus dem Haus gegenüber tritt ein schwarz gekleideter Mann mit Airpods in den Ohren, in der Hand ein kleiner bunter Kinderrucksack, schräg hinter ihm ein kleiner blonder Junge.
Eine weitere Frau mit rosa Teddyfleece-Jacke auf dem Fahrrad.
Eine Touristengruppe mit Rollkoffern überquert die Straße Richtung U-Bahn-Station.
Randbemerkung: Ein Großteil der Passanten trägt Rucksack. Die Passantinnen auch.
Ein weißer Tesla traut sich, in die Fahrradstraße zu biegen.
Ein Schulkind spaziert vorbei, in der Hand ein kleiner schwarzer Koffer, in dem ich ein Instrument vermute, ein Blasinstrument.
Pinky Fresh, sagt jemand.
Eine Frau mit dicker Daunenweste verkabelt ihren Laptop in der Mehrfachsteckdose, die unter der Bank zwischen der Frau in rosa Teddyfleece und mir steht. Ein Anschluss ist mit silbernem Tape versiegelt, die Anlegenheit sieht nicht vertrauenserweckend aus.
Draußen ein Mann, der einen kleinen grünen Rucksack in der Hand hält. Während er am Fenster vorbeiläuft, hält er den Arm demonstrativ etwas weiter vom Körper weg, als wollte er sich von dem Rucksack distanzieren. Vielleicht trägt er ihn seinem Kind hinterher?
Ein Mann mit Rimowa-Rollkoffer und Louis-Vuitton-Handtasche betritt das Café.
Zehnter Mann mit LRMK.
An der Ecke gegenüber führt ein älterer Mann (abgetragene schwarze Lederjacke, strähniges graues Haar) seinen Hund aus.
Kapuzen, Mützen, Handschuhe, große Kopfhörer – es ist Herbst geworden. Menschen in Mitte zu diesem Zeitpunkt sind in gedeckten Farben unterwegs, vorzugsweise schwarz, wenn auffälliger, dann heller Teddyfleece oder bewusst gesetzte farbliche Akzente, die knallen.
Die meisten Autofahrer halten sich an die Fahrradstraßen-Regelung, bisher kamen nur der Tesla und die Müllabfuhr hier entlang.
Drei Mädchen auf dem Weg zur Schule. Eins auf dem Roller mit Labubu (Lafufu?) am Rucksack, eins mit Schal im Burberry-Muster (ebenfalls Fake?), das dritte ohne Accessoires, die ins Auge fallen würden.
Ein Auto mit Kennzeichen HY biegt um die Ecke. Rimowa Guy verlässt das Lokal, in der Hand ein rosafarbener Shake.
Keine Lastenräder mehr, dafür umso mehr Schulkinder. Die zweite Stunde beginnt bald.
Zwei Freundinnen, ungefähr 13 Jahre alt, schlendern die Straße entlang, eine von beiden bürstet sich im Gehen das lange Haar, die andere trägt eine blaue Ledertasche. Ohnehin scheinen die Kinder hier in Mitte mit kleineren Rucksäcken – oder eben nur Handtaschen – zur Schule zu gehen als im Prenzlauer Berg. Vielleicht haben sie hier Spinde?
Eine weitere rosa Teddyfleece-Jacke (altrosa).
Eine Frau mit LROK.
Ein zerbeultes Hauswartsauto hält am Haus gegenüber.
Neun Uhr, ich packe meine Sachen und laufe zurück, den Berg hinauf.