Kaffeehausfragment #1
Ein Mittwochmorgen, kurz nach acht in einem Berliner Café an der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Mitte mit Blick auf eine vielbefahrene Straße, eine Ampel, einen Fahrradweg.
Late to the game: Ich bestelle meinen ersten Matcha Latte und was soll ich sagen – er schmeckt mir nicht. Erdig, staubig, vielleicht sollte man Honig dazu nehmen? Ich glaube, ich werde ihn nicht austrinken – ich werde ihn vielleicht überhaupt nicht trinken.
Ich erinnere mich, dass K. hier manchmal ihren Kaffee trank. Oder dass wir uns – einmal zumindest – hier getroffen haben.
Die Menschen hier:
Ein einzelner Mann am Zweiertisch an der Wand, Kopfhörer (die großen) auf dunklen Locken, Smartphone in der Hand und auf dem Tisch ein dickes Buch, ein großer Thermosbecher mit vielen Stickern und ein leerer Teller. Während ich am Tresen auf die Bestellung wartete, aß er sein Frühstück.
Neben ihm, mit einem Tischchen Abstand, eine Frau um die 60 mit einer Tasse Kaffee, lesend. Später erkenne ich: Blutbuch von Kim de l’Horizon.
An der großen Fensterfront ein Mann und eine Frau um die 30, beide in Hoodies, ihrer schwarz, seiner cremefarben. Sie trägt die Kapuze auf dem Kopf, er heruntergeklappt. Es ist kühl im Raum, die Tür geöffnet und draußen schon Herbst.
Zwischen Wand und Fenster dann noch zwei Frauen, Freundinnen vielleicht, auf jeden Fall Bekannte, die sich auf Englisch unterhalten. Die eine von beiden, sie trägt eine helle Teddyfleece-Jacke, ging schon mit mir über die Ampel, an der Leine ihr kleiner schwarzer Hund, und betrat vor mir das Café, wo sie – zufällig? – die andere Frau sah und sich zu ihr an den Tisch setzte.
Ein Mädchen, ungefährt vier Jahre alt, zieht zwei Mickey-Maus-Hefte aus der Zeitschriftenauslage und zeigt sie, in jeder Hand eins, begeistert seiner Mutter. „Zwei Stück!", ruft sie und obwohl sie noch nicht lesen kann, fängt sie noch im Stehen an, darin zu blättern wie eine langjährige Abonnentin auf der Suche nach ihrer Lieblingsrubrik, eine Kennerin.
Am langen Tisch in der Mitte, der bisher leer geblieben ist, sitzt jetzt ein Mann. Er tippt in seinen Laptop. Die Sonne steht noch tief und blendet, ich frage mich, wie er etwas erkennen kann. Ich kann es kaum.
Die Frau mit dem Hündchen erzählt von einer Freundin, die geheiratet hat. Sie habe etwas Geld gespart. Ich versuche zu verfolgen, wie es weiterging, doch die Geschichte geht im Germurmel der anderen Gäste, in Musik und Straßenlärm unter – die Tür ist immer noch offen. Ein leichtes Bedauern, dass mir der Matcha Latte so gar nicht schmeckt. 4,40 Euro umsonst und nichts zum Wärmen.
An den Außentischen hinter der großen Fensterscheibe sitzt ein weiteres Paar. Er ebenfalls in Kapuzenpulli (hellbraun), sie in schwarzer Jacke und bordeauxfarbenem Kopftuch. Sie trinkt aus einer weißen Tasse, vermutlich Kaffee, und blickt in die Ferne. Er schaut nach unten, vermutlich auf sein Handy.
Der Mann mit Kopfhörern hat seinen Platz verlassen.
Die nächste Grünphase draußen. Menschen auf Fahrrädern sausen vorbei, fast alle behelmt und in warmen Jacken oder Funktionskleidung.
Ein großer Mann in tannengrüner Steppjacke auf einem rosafarbenen E-Scooter.
Das Kapuzenpulli-Paar am Fenster ist fort. Seinen Platz hat eine Frau um die 70 eingenommen. Auch sie trägt eine tannengrüne Steppjacke, breite, goldene Creolen zum Kurzhaarschnitt und ist sorgfältig geschminkt. Ich würde sie eher in Hamburg vermuten.
Das Paar draußen unterhält sich jetzt.
Eine Randbemerkung: Es sind erstaunlich viele gesteppte Jacken unterwegs heute Morgen.
Eine weitere Frau setzt sich ans Fenster, blondes Haar, eine weitere grüne Jacke. Sie streichelt den Hund von der Frau mit dem Hund.
Die Frau mit dem Hund bricht gemeinsam mit ihrer Freundin auf, fast zeitgleich auch der Mann mit dem Laptop. Hier verweilt man nicht lang, nur einen Kaffee, nur eine kurze halbe Stunde.
Sonne in meinem Gesicht und um die Füße schleicht die Kälte des anbrechenden Herbstes. Ich notiere. Immer, wenn ein Schatten über mein Gesicht huscht, weiß ich, gerade ist jemand an mir vorbeigelaufen. Vielleicht hat er mich angesehen. Ich habe in mein Heft geschaut, ich habe Sonne im Gesicht.
Eine Dreiviertelstunde ist vergangen. Der Matcha Latte fast unberührt. Sein Schaum hat hässliche Spuren am Glasrand hinterlassen.
Die Frauen am Fenster fort.
Und gleich gehe auch ich.