Fenstermenschen

Manche Menschen kenne ich nur durch zwei Fensterscheiben hindurch, meine und ihre – es sind die Nachbarn aus dem Haus gegenüber. Manche von ihnen sehe ich täglich, manche nur ein-, zweimal im Jahr. Draußen auf der Straße begegne ich ihnen fast nie. Oder ich erkenne sie dort nicht.

Auf gleicher Höhe wie ich wohnt ein Mann, der seine Tage und Nächte am Computer verbringt. Nachdem er eingezogen ist, im vergangenen Jahr, saß er tagelang dort an seinem Tisch am Fenster ohne Gardinen, sein Gesicht beleuchtet vom bläulichen Strahlen seines Monitors. Irgendwann kaufte er sich eine kleine Lampe. Sie erhellt jetzt seinen Arbeitsplatz. Den zweiten Raum, den großen, nutzt er kaum. Ganz selten einmal sitzt er draußen auf dem Balkon, auf dem seit einem Jahr drei Stühle stehen – zwei von ihnen noch immer übereinander gestapelt, unbenutzt. Er hat keine Zeit oder kein Bedürfnis, es sich wohnlich zu machen, sich einzurichten. Ab und zu stellt er eine Zimmerpflanze auf den Balkontisch. Ich sehe darin ein geheimes Zeichen wie ich auch in ihm, dem Mann, einen Agenten vermute oder einen Hacker.

Mittlerweile hat er Gardinen angebracht, blaue im Schlaf- und Arbeitsraum, dunkelrote im zweiten Zimmer. Durch die blauen scheint abends und nachts ein Licht.

Der Mann hat eine kurze fliederfarbene Hose und eine lange Jogginghose in derselben Farbe. Er ist groß und dünn, sein Haar schütter. Ein paar Mal hatte er Besuch von einem anderen Mann, ansonsten ist er immer allein. Zwischendrin steht die Wohnung leer, er ist fort für Tage oder Wochen.

Ein einziges Mal sah ich ihn draußen. Mit einem kleinen roten Rollkoffer in der Hand und einem Rucksack auf dem Rücken trat er aus der Haustür und folgte einem anderen Mann zu einem Auto. Er trug Jeans, das war ich von ihm nicht gewohnt.

Dem jungen Paar, das vor ihm in der Wohnung gelebt hat, bin ich ebenfalls nur einmal draußen begegnet. Als sie mit ihrem Kinderwagen an mir vorbeischoben, musste ich kurz nachdenken, woher ich sie kenne. Als ich es wusste, hätte ich fast gegrüßt. Dann fiel mir ein, dass wir uns ja gar nicht wirklich kennen, also sie mich nicht, wobei ich mir da gar nicht sicher sein konnte. Vielleicht war ich für sie ebenfalls seit Jahren ein Fenstermensch.

ein Hauch

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